Manchmal, so scheint es heute, standen sich die Filmemacher selber im Weg: Vielfach wurde an Stellen politisiert, wo es gar nicht nötig war. Dazu sagt Orth: „Ein gutes Beispiel ist ,Berlin, Ecke Schönhauser…´ aus dem Jahr 1957. Das ist so ein ,Halbstarken-Film': Es geht um Jugendliche, die es genau so auch im Westen gab. In ,Berlin, Ecke Schönhauser…´ hat man das Thema politisch aufgeladen, was nicht nötig gewesen wäre. Im Grunde geht es, wie in ,Denn sie wissen nicht, was sie tun', der 1955 in den USA mit James Dean erschien, um Probleme von Jugendlichen – unabhängig davon, wo die leben. Und man hat in dem Fall eine politische Dimension einfach noch draufgesetzt, eine Tendenz, die man in vielen Filmen sieht.“
Es gab keine Zensur
„Offiziell gab es keine Zensur“, sagt Orth bestimmt und muss dann doch grinsen, denn „die Filme mussten durch den Staat zugelassen werden. Heißt, es gab verschiedene Institutionen, die von der ersten Filmidee an bis zum Schluss dafür gesorgt haben, dass der Film auf Parteilinie bleibt.“ Bei dieser Maßgabe wundert es dann schon, dass bei der Produktionsvielfalt der DEFA lediglich 30 Filme verboten, deren Produktion abgebrochen oder gar nicht erst aufgeführt wurden. Dafür hat Orth eine Erklärung: „Viele Filme wurden im Entstehungsprozess, der von vornherein mit der Partei verwoben war, schon beeinflusst. Es gibt dieses geflügelte Wort von der Schere im Kopf. Die Filmemacher wussten vorher schon, was Probleme geben könnte und haben die entsprechenden Szenen gleich rausgeschnitten oder gar nicht erst gedreht. Die haben sich selbst zensiert, wenn man so will, bevor es zu der speziellen und faktisch doch vorhandenen Zensur kam.“
In diesem Zusammenhang nennt Orth auch das sogenannte Kahlschlag-Plenum aus dem Jahre 1965. Auf dem elften Plenum des Zentralkomitees der SED wurden die Künstler der DDR angeklagt. Wortführer Erich Honecker warf ihnen u. a. Nihilismus und Pornografie vor. Zahlreiche Filme – auch von regimefreundlichen Regisseuren – wurden daraufhin, neben vielen Büchern, verboten.
„Die Spur der Steine“, ein Kellerfilm
Der vielleicht bekannteste verbotene, sogenannte Kellerfilm – Indexfilme lagerten nur noch im Kellerarchiv – ist ,Die Spur der Steine´, eine DEFA-Produktion mit Manfred Krug in der Hauptrolle aus dem Jahr 1966. „In dem Film werden Parteifunktionäre dargestellt“, erklärt Orth, „und die Darstellung dieser Parteifunktionäre stimmte nicht mit dem Selbstbild der Partei überein. Im Film waren das recht verbohrte, starrköpfige Parteisoldaten. Einer beging Ehebruch und erkannte das daraus entstandene Kind nicht an. Das war moralisch höchst verwerflich." Zudem sei die Partei als zerstritten und mit unterschiedlichen Flügeln dargestellt. „Das passte der SED natürlich nicht. Gleichzeitig gibt es so eine Cowboymentalität, es geht ja um eine Arbeiterbrigade. Die werden teilweise wie in einem Western inszeniert, verhalten sich auch dementsprechend anarchistisch. Sie springen nackt in einen Teich und schmeißen einen Volkspolizisten mit ins Wasser. Das hat der Staatsführung wenig behagt.“
Die Intention des Regisseurs, der Probleme aufzeigen wollte, die zu einer Verbesserung der Verhältnisse beisteuern sollten, sah die Staatsführung als Bedrohung an und sorgte dafür, dass der Film nach wenigen Tagen aus den Kinos verschwand. „Die Partei hat sogar Störer organisiert, die die Vorführung mit Zwischenrufen unterbrochen haben oder gar zum Abbruch des Films führten“, erläutert Orth. Tatsächlich wurde „Die Spur der Steine“ erst nach dem Mauerfall wieder aufgeführt.
Zeitgeschichtlich herausragend
Die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 und die damit verbundene Ausreise bekannter DEFA-Künstler wie Manfred Krug, Armin Müller-Stahl und Angelika Domröse führten kurzzeitig zu mehr Freiheiten im Film, so dass die Produktion „Solo Sunny“ von 1980 über die Selbstfindung einer jungen Künstlerin sogar das Tabuthema Suizid behandeln durfte. „Es ist tatsächlich erstaunlich, dass der Film veröffentlicht werden konnte“, sagt Orth, denn „diesen Film fand die Parteiführung nicht gut, weil damit suggeriert wird, dass die Leute aus der sozialistischen Gesellschaft die gleichen Probleme haben, wie die aus der westlichen Gesellschaft.“
Zeitgeschichtlich haben die DEFA-Spielfilmproduktionen durchaus auch weitere herausragende Filme erstellt. „,Die Mörder sind unter uns' von 1946 ist der erste DEFA-Film, der noch vor der Staatsgründung produziert wurde. Es ist eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Ästhetisch gut gemacht, hat er viele Anleihen an den expressionistischen Film. ,Der geteilte Himmel´ aus dem Jahr 1964 von Konrad Wolf ist eine Literaturverfilmung einer Vorlage von Christa Wolf. Der Film legitimiert einerseits die Teilung und die Mauer implizit, ist aber ästhetisch und künstlerisch hochinteressant“, sagt Orth. Er fährt fort: „,Die Legende von Paul und Paula´ von 1973 ist im Grunde ein Liebesfilm und gilt heute als Kultfilm. ,Jakob der Lügner´ von 1974 ist die einzige DEFA-Literaturverfilmung, die für einen Oscar nominiert war. Das sind zeitgeschichtlich wirklich bemerkenswerte Werke.“