An der RWTH Aachen, wo er sich bereits viele Jahre mit den Themen Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz und Digitalisierung beschäftigt hat, trug er die Verantwortung für die Arbeitsgruppen Produktionstechnik, Verkehr und Mobilität sowie Cognitive Computing. Die Erfahrungen und Kontakte aus der Zeit nutzt er nun in seinem neu geschaffenen Lehrstuhl in Wuppertal.
„Wir waren sehr interdisziplinär aufgebaut und das spielt heute an der Bergischen Universität eine ganz zentrale Rolle“ erklärt er. „Die größte Herausforderung, der wir uns heute gegenübersehen, sind nicht unbedingt die neuen Technologien, sondern der gesellschaftliche Wandel, der unternehmerische Wandel und alles, was damit einhergeht. Und das sind keine technischen Fragestellungen.“
Im Miteinander der Disziplinen, der Schaffung einer fruchtbaren Streitkultur und dem Erkennen eines Mehrwertes durch das Einbinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann seiner Meinung nach unternehmerische Transformation gelingen. „Am Anfang braucht es viel Aktivierungsenergie“, sagt Meisen, neue Ideen müssten entwickelt, transferiert und akzeptiert werden. Das bräuchte eine gute und auf Wertschätzung aufgebaute Unternehmenskultur.
Junge Beschäftigte hätten heute einen ganz anderen medialen und digitalen Hintergrund, stellten neue Anforderungen an Unternehmen und diese müssten sich auf die Neuerungen vorbereiten. „Wir haben in Deutschland viele klassische Unternehmen, die eine sehr stark traditionell geprägte Kultur haben. Diesen Wandel jetzt hinzukriegen, das ist eine der größten Herausforderungen“, betont der 38jährige.
Neu und Alt in Einklang bringen
An seinem Lehrstuhl in Wuppertal geht es genau darum: Veränderungsprozesse in Strategien, Geschäftsmodellen, Prozessen und Kultur anzukurbeln. Die Umsetzung sei einerseits hochindividuell, erläutert er, „und eigentlich ganz einfach“, nämlich durch die Schaffung einer Unternehmenskultur, die diese ganze Vielfältigkeit zulässt.
Digitalisierung findet überall statt – ob in der Produktion, der internen Fertigung, der Buchhaltung oder dem Vertrieb: „Man muss die Transformation so aufbauen, indem ich einerseits einen Raum für Neues schaffe und gleichzeitig das Alte nicht verliere!“ Einen Schlussstrich zu ziehen und mit vielen neuen, jungen Beschäftigten von vorn anzufangen, hält Meisen für falsch und sagt ganz klar: „Das funktioniert nicht.“ Im Gegenteil: „Man muss auch gerade die ältere Belegschaft involvieren. Sie müssen den Mehrwert darin sehen, die Angst genommen bekommen. Man muss ihnen zeigen, warum der Wandel gut ist.“
Der Wissenschaftler kennt Unternehmen, die genau so erfolgreich vorgehen. In regelmäßigen Workshops werden Beschäftigte gefördert und ihre Bedürfnisse berücksichtigt. Es entstehen Freiräume, die wiederum Kreativität freisetzen. Innovation wird von innen generiert. „Wenn man Leuten einfach die Zeit gibt, sich darüber Gedanken zu machen, was im eigenen täglichen Prozess falsch läuft und das in einem dafür geschaffenen Raum zu artikulieren, kann das über eine Diskussion zur Lösung führen.“ Mit weniger Aufwand kann so eine höhere Qualität erreicht werden. Und die Ressourcen, die so frei werden, können in neue Ideen fließen, ohne Personal zu entlassen. „Dann“, sagt Meisen, „stehen die Leute auch dahinter!“
Mitdenkende Belegschaft
Eine mitdenkende Belegschaft sei das, was ein Unternehmen in Zeiten des schnellen Wandels brauche. Aber diese mitdenkende Belegschaft müsse erst geschaffen werden. Der Informatiker kennt Unternehmen, wo die Ideen der Schichtleiter gar nicht erst bei der Geschäftsleitung ankommen. „Die prallen an einer unsichtbaren Grenze ab“, aber gerade von dort aus, könne sehr viel aktiviert werden. Da beginne Unternehmenskultur.
Meisen betont immer wieder, wie wichtig der bestehende Mitarbeiterstab eines Unternehmens ist. „Oft geschieht es, dass man neue, junge Leute in den Betrieb holt, die bestens ausgebildet sind, aber den Betrieb nicht kennen. Man schaut weniger nach den aktuellen Beschäftigten, die man fortbilden kann und die aus Firmensicht agieren.“ Da können einzelne, ausgewählte Abteilungen mit neuen Herausforderungen eine Vorreiterrolle übernehmen. „Dann schauen oft die anderen Abteilungen und sagen: `Wow, was machen die da? Das will ich auch!´ So können einzelne Vorreiter sukzessive andere Abteilungen motivieren. Das bedarf gezielt ausgewählter Leute und geschickt ausgewählter Projekte.“
Die Uni als Partner
Eine Zusammenarbeit mit der Hochschule als nichtkommerziellen Partner gehen Unternehmen gerne ein. Der Vertrauensvorschuss und die Verschwiegenheit sind Grundvoraussetzungen, die eine Kooperation möglich machen. „Dann versucht man, das Management wieder auf den Boden zurückzuholen, Ängste abzuschwächen und Erwartungen zu bremsen sowie für den Wandel zu sensibilisieren“, erklärt Meisen.
„Man muss ganz nah ran, den Spiegel vorhalten und die Möglichkeit geben, für den Betrieb ein Botschafter zu werden.“ Für diese Prozesse, die einen Wandel anstreben, gibt es allerdings keine Verfahren. Und so kommt auf einmal ganz viel Psychologie ins Spiel, auf die vor allem stark technisch ausgerichtete Betriebe erst aufmerksam gemacht werden müssen.
Unternehmen werden Kunden
Der Transfer führt in vielen Wissenschaften noch ein Schattendasein. Und auch da fordert der Wissenschaftler ein Umdenken. „Wenn ein Promovend bei uns anfängt, überlegen wir uns eine fachliche Grundlage, die wir entwickeln. Wir bringen sie in die Anwendung, suchen uns die Industriepartner und am Ende haben wir eine tolle Geschichte zu erzählen. Die entwickelte Methode ist im Idealfall dann bei zwei bis drei Kunden in der Anwendung.“ Der in der Wissenschaft verpönte Begriff des Kunden ist seiner Meinung nach „etwas ganz Wesentliches, was wir im Blick haben sollten.“ Meisen verweist auf Transferprojekte der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die existierende Zukunftscluster-Initiative, die den Weg aus der Grundlagenforschung in den Transfer beschreibt. Überzeugt sagt er: „Da tut sich was.“
Warum sollten Hochschulen nicht stärker in Beratungsprozesse involviert werden, in die aktuell u.a. die Bundesregierung bei ihren Bedarfen kräftig investiert. „Wir haben eine ganz starke Wissenschaftsfront in Deutschland, mit extrem gut ausgebildeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die man in solche Prozesse viel mehr einbinden könnte.“ Und vor allem Unternehmen können davon profitieren. Die Vorstellung vom Wissenschaftler, der im Keller eines Lehrstuhls sitzt und jahrelang vor sich hinforscht ist Geschichte. Meisen weiß, das muss heute „agiler, zielgerichteter und schneller erfolgen.“